Jubiläen der Wächtersbacher Steingutfabrik

Feste feiern in der Wächtersbacher Steingutfabrik

Rosemarie Schade, Vortrag anlässlich der "Jubiläumsfeier 180 Jahre Wächtersbacher Keramik", Schlierbach, 8.6.2012

Warum feierte man Jubiläen in der Fabrik, und wie sahen diese aus? Diese Frage kam vor einigen Wochen in einem Gespräch mit Marlies und Klaus Kessler auf, und ließ mich nicht mehr in Ruhe. Wir alle wissen, dass Feste nicht nur dazu da sind, Spaß zu haben. Feste haben die Funktion, einen Status quo zu bejubeln und zu festigen und die Großzügigkeit des Gastgebers zu zeigen. Der Gastgeber (die Fabrik und ihre Besitzer und Direktoren) präsentiert sich normalerweise von seiner besten Seite. Er versucht, eine besondere, nicht alltägliche Stimmung zu kreieren, wozu ein festlicher Rahmen gehört, mit Dekorationen, Geschenken, Musik und gemeinsamen Essen und Trinken. Durch diese Rituale werden positive zwischenmenschliche Beziehungen gefördert und gefestigt, und, wie noch zu zeigen ist, es wurde Werbung für die Fabrik auf subtile und manchmal nicht so subtile Art gemacht.

Alle 25 Jahre, seit mindestens 1907, feierte die Fabrik ihre Geburtstage. Sie wäre - oder ist - heute 180 Jahre alt. Ich habe nicht vor, heute eine formelle wissenschaftliche Arbeit zu präsentieren, denn die Quellenlage und meine eigenen ersten Versuche, dieses neue Thema zu erarbeiten, reichen noch nicht aus, um eine in sich stimmige Sichtweise herauszuarbeiten. Ich suchte die Scherben dieser vergangen Feste, nicht, um sie wieder zusammenzuflicken, damit Sie sehen „wie es eigentlich gewesen war“, (es fehlen zu viele) sondern um diese Bruchstücke etwas vorsortiert ins Licht zu rücken, um Momentaufnahmen für jede der großen Jubiläumsfeiern anzufertigen. Die folgenden fünf Schnappschüsse wurden zum größten Teil von Werbe- und andere Geschenken, den Grußworten der Gastgeber und anderen Gastrednern inspiriert.

Niederlassung in Leipzig 1907
1. Niederlassung der Fabrik in Leipzig 1907


1907 – 75 Jahre, die Feier in Leipzig

Eine Ausgabe der Keramischen Rundschau von 1907, leider undatiert, brachte Teile der Festreden. Insbesondere die von Direktor Ehrlich, der die geringe Anzahl der Gäste bedauerte, und dies damit erklärte, dass „leider infolge der für eine derartige Feier ungünstige Zeit manchem nicht möglich gewesen sei, im festlichen Kreise zu erscheinen, da er nach des Jahres Last und Arbeit an anderer Stelle Erholung sucht.“ Es folgten Reden u. a. von Herrn Staubach, Dipl. Ing. Loeser, und am Ende des Artikels die Auflistung der vier Geschenke an die Teilnehmer.

Der Autor dieses Artikels betonte nur die positiven Aspekte der Reden. So z.B. sprach Herr Loeser über das erfolgreiche System der Fabrik, welches - so Loeser - „man am besten durch die Worte „wissenschaftlich“, „technisch“, „künstlerisch“ und „wirtschaftlich“ charakterisiert. Die Wiedergabe der Festreden in dieser Zeitschrift war deutlich knapp und zugleich zurückhaltend.

Dagegen ist der Bericht in der Tonindustrie-Zeitung vom 17. September 1907 detaillierter und umfangreicher. Laut diesem Blatt waren es nur 30 Herren, die sich versammelten, um das 75 jährige Bestehen der Wächtersbacher Keramik mit einem Festessen zu feiern. Die Feier im Hotel Sachsenhof wurde elegant gestaltet mit „prächtigen Blumensträußen in grün, silber, und gold, mit diamantähnlichen Perlen aus Glas“. Wie auch in der Keramischen Rundschau stand, ging die Einladung von der Direktion der Fabrik aus, von Dr. Ehrlich und Herrn Staubach. Es wurde auch ein finsterer Beiklang in Ehrlichs Rede wiedergegeben, denn, wie folgendes Zitat aus Ehrlichs Rede deutlich zeigt, war die Fabrik zur Zeit dieser schwach besuchten „Feier“ in einer prekäreren Lage, da mehrere Prozesse gegen den Fürsten liefen, welche wohl mit den Eigentumsverhältnissen an der Fabrik zu tun hatten. Dr. Ehrlich sprach in düsteren Tönen weiter „Unter den Verhältnissen, wie ich sie Ihnen soeben geschildert habe, ist das (RS schildern der neuesten Geschichte) aber unmöglich. Mann müsste da Sachen zur Sprache bringen, die besser ungesagt bleiben. Ich müsste von Angelegenheiten sprechen, die vielleicht hier und da verletzen könnten, und wir wollen uns nicht die Festesfreude stören lassen durch Rückblicke in die Vergangenheit.“ (s. 1467).

Es war ein Jubiläum, aber eins, über dem eigentlich ein Schatten lag. Dazu lag der große Streik noch nicht weit genug in der Vergangenheit und, obwohl nicht besprochen, war diese Affäre vermutlich noch ein Grund, dass die Feier nur in Leipzig und nicht auch in Schlierbach statt fand.

Nun haben wir auch die Erklärung dafür, dass das Ruppel Heft von 1876 - und nicht eine neuere Geschichte - als Geschenk an die Gäste verteilt wurde. Die geladenen Gäste selber waren überwiegend Vertreter der Fabrik sowie die keramische Presse. Der Fürst war nicht anwesend, ließ aber durch Dr. Ehrlich grüßen und erinnerte daran, dass vor 75 Jahren der Societätsvertrag geschlossen wurde, also wurde der offizielle Geburtstag der Fabrik gewürdigt, obwohl die Feier später statt fand.

Deckblatt Fabrikgeschichte Ruppel
2. Umschlag "Fabrikgeschichte Ruppel"

Ansonsten gab es - wie es sich bei Geburtstagen gehört - natürlich viele positive Nachrichten - Dr. Ehrlich pries das gute Verhältnis zwischen Fürst und Direktion, was natürlich gelogen war. Ehrlich erwähnte die Erfolge der Fabrik, denn das Jahr 1906 war nach Ehrlich das Jahr mit dem größten Reingewinn, und für 1907 sah es aus, als ob es noch besser werden würde. Nur ein kleiner Satz in der Festrede deutete darauf, dass auch zwischen Fürst und Direktion „Meinungsverschiedenheiten“ aufgetreten waren. Aber dieser Satz verschwand schnell unter den vielen Treueschwüren und Komplimenten von Ehrlich für seinen „gnädigen Herren“. Dazu kamen viele Worte über die Schönheit und Brauchbarkeit der Produkte, welche für „die oberen Zehntausend sowie für die deutsche Hausfrau, „die weiß was sie will“ produziert wurden. Schon früh zeigte sich der Zwiespalt in der Produktion zwischen dem Willen, einerseits Massenware, zum anderen aber auch Waren für die „oberen Zehntausend“ anzufertigen.

Wappernascher zum Jubiläum
3. Wappenascher zum Jubiläum

Das Fest „dehnte sich bis in die frühen Morgenstunden aus, und mancher von den Herren blieb solange an der Tafel, bis der Zug ihn wieder in die Heimat zurückführte“ Der anonyme Journalist der Ton-Industrie Zeitung bemerkte auch, dass die Teilnehmer „reich mit Geschenken beladen“ nach hause gingen, wozu alle vier Geschenke in unserer Vitrine namentlich genannt wurden. Wir verlassen unsere Herren qualmend und trinkend in Auerbachs Keller, wo die hübschen Ascher mit dem Fürstlichen Wappen vielleicht schon ihre erste Arbeit getan haben, und sehen hoffnungsvoll der Hundertjahr-Feier 1932 entgegen.


1932 – 100 Jahre

Es gab anscheinend weniger Werbegeschenke (ich konnte nur eine Festschrift und einen Aschenbecher finden), aber dafür ein großartiges Geschenk für die Arbeiter. Dass die Festschrift als Werbung diente, ist durch das eingelegte Blatt bestätigt; vermutlich wurde sie zusammen mit dem Aschenbecher überreicht.

Ascher zum 100 Jahre Jubiläum
4. Ascher zum 100 Jahre Jubiläum

Ein leider undatierter Bericht - vielleicht aus dem GT- gibt als Datum der Geburt der Fabrik den 8. Juni an; gefeiert wurde etwas später im Frankfurter Hof in Schlierbach. Anders als die protzige Feier in Leipzig 1907, wurde dieses Jubiläum als „schlicht“ beschrieben; „ der Notzeit folgend wurden nur Besitzer, Belegschaft, und Direktoren vereint.“ Der Saal war mit den Fahnen des Fürstlichen Hauses geschmückt, Erbprinz Otto Friedrich war präsent, und nicht nur der Adel sondern auch die protestantische Kirche in Person von Pastor Calaminus sowie die Direktion sorgten für eine herrschaftlich, feierliche Atmosphäre. Direktor Tepling eröffnete das Fest, nachdem das Orchester Kohlenbusch einen musikalischen Auftakt darbot.

Teplings Rede sprach auch über die Geschichte der Fabrik und brachte das Zitat „Wohl dem der seiner Väter gern gedenkt“ als Leitgedanken. Danach sprach Seine Durchlaucht Erbprinz Otto Friedrich Fürst zu Ysenburg und Büdingen, später der Prokurist Hugo Enger. Es wurde auch der Opfer des Krieges gedacht. Der Leitsatz des Berichtes und die Kernaussage von Direktor Teplings Rede „Wohl dem der seiner Väter gern gedenkt“ spiegelte sich in der Broschüre wieder. Die Festschrift beinhaltet die Geschichte der Fabrik sowie der Möbelindustrie Neuenschmidten, und war ein attraktives Werbegeschenk mit all den Bildern von Fürstlichen Besitzern, historischen Objekten, und der neusten Produktion.

Wer erhoffte, dass die verschwiegenen Geschehen am Anfang des 20. Jahrhundert, welche so dunkel von Direktor Ehrlich 1907 angedeutet wurden, hier endlich beleuchtet wurden, hoffte vergebens: der Streik wurde kurz erwähnt, aber von den erwähnten Prozessen wurde nichts gesagt.

Für die Belegschaft war der Höhepunkt bestimmt das großzügige Geschenk des Erbprinzen Otto Friedrich an alle Mitglieder der Belegschaft der Wächtersbacher Keramik und der Möbelindustrie Neuenschmidten: eine Gruppen-Lebensversicherung. Lohnempfänger wurden mit 1000, Gehaltsempfänger mit 2000 RM versichert. In einer harten Zeit war dieses Geschenk an die Arbeiter des Betriebes besonders bemerkenswert. Es ist ein Beweis für die verantwortungsvolle Verbundenheit zwischen Arbeiterschaft und Fürstlichem Hause, welches auch wieder sehr stark 1957 zum Ausdruck kommen wird.

Der Erbprinz und spätere Fürst Otto Friedrich handelte häufig bewusst aus seiner historisch begründeten, menschlichen und sozialen Verantwortlichkeit. Auch passte diese soziale Geste zu den progressiven Momenten in der Geschichte der Fabrik, was sich besonders unter Max Roesler im späten 19. Jahrhundert zeigte.

Wie schon 1907, wurde auch 1957 mit dem Prestige des Fürstenhauses geworben, sowie mit der langen Geschichte und Tradition der Fabrik. Diese Traditionsverbundenheit ging viel weiter als dies noch 1907 der Fall war: Durch die Anwesenheit des Fürstlichen Hauses, des Pfarrers, die Anlehnung an das Goethezitat und die großherzige Geste, kann man dieses Fest und seine Wirkungen als gelungene Werbung für ein gutes Arbeitsverhältnis einstufen und nach außen als Werbung für die Produkte einer Fabrik, die ihrer Zeit vorauseilte.


1957 – 125 Jahre

Das Wirtschaftswunder ging weiter, und die 50er Jahre waren im Allgemeinen eine Zeit des Aufstiegs nach den schrecklichen Kriegs- und Nachkriegszeiten. Heile Welt und Familienpolitik waren in diesen kalten Kriegszeiten propagandistisch weit verbreitet und das nicht nur in Deutschland - und die Heile Welt der patriarchalischen Familie sowie die alten Werte wie Treue, Zusammengehörigkeit, fanden sich auch in der Festrede des Fürsten Otto Friedrich wieder.

Der gesamte Text der Festrede wurde im Kreisanzeiger, Amtliches Verkündungsblatt des Kreises GN vom 2. August 1957 wiedergegeben.

Direktor Brandenstein sprach über die Geschichte der Fabrik und pries besonders den Gleisanschluss von 1898 für das Wohlergehen der Fabrik, denn sie wurde „damit an das weltweite Netz der Eisenbahn angeschlossen.“ An das Netz von heute war zu dieser Zeit noch nicht zu denken, aber es spricht schon früh zum Thema Globalisierung. (Aus: Frankfurter Rundschau, 6. August 1957 Lokaler Teil S. 4) Zu diesem Fest kamen noch als Gratulanten Ministerialdirektor Kleine vom Hessischen Wirtschaftsministerium, Landrat Kress und „zahlreiche Vertreter befreundeter Unternehmen.“ (ibid.)

Nur ein paar Highlights aus der fürstlichen Rede wurden zitiert und von der Redaktion des Kreisblattes mit dem etwas schwülstigen Titel „Ein Fabrikherr spricht über sein Werk: Zum 125 Jährigen bestehen der W.K.“ versehen.

Passend zu dieser warmen, familiären Atmosphäre war auch das Geschenk des Fürsten an die Arbeiter: Eine Kegelbahn, die auch heute noch im Keller unter der Glasurmühle zu sehen ist.

Bild der Kegelbahn
5. Die Kegelbahn existiert noch heute.

Als Werbung und auch vielleicht als Geschenke für die Belegschaft und Gäste wurden Aschenbecher - eher schlicht - in mehreren Farben angeboten sowie Anstecknadeln aus Keramik von hoher Qualität.

Ansteckknopf
6. Anstecknadel mit Keramikknopf

Auch wurde mit dem ehrwürdigen Alter der Fabrik in diesem Jahr Werbung gemacht, so wie z.B. in diesem Weihnachtsangebot mit Fesca-Entwürfen.

Weihnachtsflyer
7. Weihnachtswerbung mit Fescaprodukten

Wie seit mindestens 1907 wurden Feste und Werbung vereint. Aber dieses Mal war durch die Rede des Fürsten die Arbeiterschaft und das gute Verhältnis zwischen Fürstlichem Hause und Arbeiterschaft mehr in den Mittelpunkt gerückt. Schwer zu sagen ist natürlich, inwieweit dies an den Quellen liegt, an dem neuen demokratischen Zeitgeist nach 1945, an der Rhetorik des Kalten Krieges, oder an der Persönlichkeit des Fürsten, welche in der Erinnerung der älteren Arbeiter immer wieder positiv hervorgehoben wurde.


1982 – 150 Jahre, das Fest auf der Ronneburg

Wie auch schon 1932 und 1957, wurde die Hauptrede von Fürst Otto Friedrich gehalten. Es gab auch inhaltliche Ähnlichkeiten mit der Rede 1957 des Fürsten: das gute Verhältnis zwischen Fürstenhaus und Arbeiterschaft stand wieder im Mittelpunkt. Nicht nur die zurückliegenden Wohltaten für die Arbeiter, (wie z.B. die Einrichtung einer Krankenkasse in 1856) sondern auch die Erhaltung der Arbeitsplätze in der jetzigen Zeit war Anliegen des Firmenchefs: „Es ist uns eine Verpflichtung, Ihnen Ihre Arbeitsplätze zu erhalten, zumal in der Region am Fuße des Vogelsberges attraktive Arbeitsplätze wie eh und je selten sind.“ (GT 19. Juni 1982)

Jubiläumsteller 1982
8. Jubiläumsteller 1982

Aber danach kam etwas Neues: hier wurde in der Zeitung erstmals die Rede eines Mitglieds des Betriebsrates erwähnt. Betriebsratsvorsitzender Erich Reifschneider blickte etwas kritisch in seiner Beurteilung auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und forderte das Fürstenhaus auf, „die Enttäuschung für die Pensionäre abzubauen.“ Leider war der Zeitung kein weiterer Hinweis zu diesem Thema zu entnehmen. (Weiß jemand von Ihnen noch etwas dazu?) Weiter sagte Herr Reifschneider: „Die Firmenleitung sollte Ihre christlich-soziale Verantwortung für die Beschäftigten stets beachten.“

Der neue Geschäftsführer Sylvester Prinz zu Ysenburg und Büdingen sprach unter anderem über die Bedeutung der Kooperation zwischen Mitarbeitern und Firmenleitung, und kam damit wieder mehr in den Tonfall der Fürstlichen Reden von 1932 und 1957 zurück.

Ein prächtiges Essen für 500 Menschen wurde im „Kaminsaal der Ronneburg, in Zelten, und in der Gaststätte“ (ibid.) aufgetragen. Andere Höhepunkte waren die Jagdsignale eines Bläsercorps, welche die feierliche Überreichung von Medaillen umrahmten, mit denen Mitarbeiter, die 40 Jahre in der Fabrik waren, durch den Fürsten und den Erbprinzen ausgezeichnet wurden.

EintrittskarteMedaille
9. Festabzeichen - Medaille, 150 Jahre Familienbesitz

Wichtig ist, dass auch dieses Fest wieder das Arbeitsverhältnis, gute Kooperation, und Treue auf beiden Seiten betonte. Obwohl auch das Werk in Spanien erwähnt wurde, hatte diese Feier auch - so wie 1957 - einen starken lokalen Charakter. Außer sehr reichlichem Essen und Trinken und kleinen Geschenken ist mir keine größere Gabe an die Belegschaft aufgefallen, was vielleicht an der Knappheit meiner Quellen liegt. Ich freue mich auf weitere Berichte von Zeitzeugen und eine Reise ins Archiv. Alle meine Interviewpartner haben dieses Fest sowie den großen Geburtstag des „Alten Fürsten und der Fürstin“ in wärmster Erinnerung. Es wurde ausgiebig gegessen und getrunken, und um Mitternacht gab es ein Feuerwerk. 1907 durften nur 30 Männer feiern; hier - 1982 - ging es demokratischer zu und auch die Damen und alle Mitarbeiter aus allen fürstlichen Betrieben waren eingeladen.


2007 – 175 Jahre

2007 gab es kein Feuerwerk, obwohl in diesem Jahr die Fabrik 175 Jahre alt wurde. Eine umfangreiche Dokumentation der Fabrikgeschichte erschien in der GNZ vom 29. September und im GT gab es am 1. Okt. auch einen ähnlichen historischen Überblick. Im Lindenhof gab es “ein Glas Sekt“ mit dem Bad Orber Geschichtsverein, laut GT und GNZ vom 12. Juni des Jahres. Gab es noch irgend etwas Anderes, entweder in der Fabrik oder sonst wo in der Gegend im Sommer 2007? Bis jetzt habe ich nichts gefunden, um dieses dunkle Loch zu schließen. Es ist auch durchaus verständlich, wenn kaum jemand an diese Jubiläumsfeier im Chaos der Übernahme der insolventen Fabrik in 2006 durch Turpin Rosenthal dachte. Die Führung war neu, und es gab dringendere Probleme zu lösen. Dafür aber wurden dann in 2008 mehrere Objekte für eine etwas verspätete 175 Jahre Jubiläumsfeier angefertigt, und es wurde auch an mehreren Orten gefeiert, z.B. In der Fabrik in Schlierbach und im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst Der berühmte Henkelbecher wurde in mindestens drei Farben angefertigt, wohl auch als Werbegeschenk und zum Andenken für Gäste.

Jubiläumsbecher 2007
10. Der berühmte Henkelbecher wurde in mindestens drei Farben angefertigt

Er wurde auch verkauft, anfangs für 3,25 Euro - wenn der Sticker unter einem der Becher stimmt; später im Werksverkauf für einen Euro. In der Fabrik selbst gab es am 21. Juni in Zusammenarbeit mit dem 175. Jubiläum des GT ein Fest. Herr Rosenthal war nicht anwesend, aber Geschäftsführer Rainer Mann eröffnete die Feier und sagte, dass nach „dunklen Jahren 2007 das erste erfolgreiche Geschäftsjahr war„. (GT am Sonntag, 29.06.08) Es sprachen u. a. Burgermeister Schütte, Kreisabgeordneter Frenz, und viele andere.

Das Event diente auch als offizielle Eröffnung der neuen Verkaufsräume des Werksverkaufs. (ibid.) Birgit Steidl, Leiterin des Werksverkaufs, sprach von der Hoffnung, dass mehr Aktionen in diesem Raum stattfinden werden, z.B. Keramikmalen und Sammlerevents, und fügte hinzu „Außerdem haben wir unser Angebot erweitert. Jetzt werden noch mehr Produkte von unseren Schwesterfirmen Koenitz Porzellan und Weimar Porzellan erhältlich sein. Von edlem Porzellan bis hin zu farbenfroher Keramik haben wir jetzt alles im Sortiment“ (Gelnhäuser Tageblatt feiert mit Keramikfabrik“, GT 17.06.08).

Der Ablauf des Tages war abwechselungsreich. Um 10 Uhr wurde das Fest und der Werksverkauf eröffnet, um 15 Uhr gab es Linedance mit Linedance Circle and Friends Aufenau, um 16 Uhr die Buchvorstellung Detailverliebt mit Eberhard Traum und um 18Uhr gab es wieder Linedance. Spiele wie Keramik werfen oder Mega-Mug-Stemmen sorgten für weitere Vergnügungen auf dem Fabrikgelände. Ganz anders verlief die Einweihung der Ausstellung in Frankfurt.


Ausstellungsplakat Wettbewerbdokumentation
11. Umschlag Ausstellungskatalog, Umschlag Wettbewerbsflyer Waechtersbacher Keramik in Frankfurt

Ganz neu war 2007: Zum ersten Mal wurden Sponsoren der Feier in Schlierbach namentlich gelistet (für die Feier in Schlierbach), und wahrscheinlich war es das erste Mal, dass Sponsoren gesucht wurden. Das GT war als Sponsor an erster Stelle, die BKK Osthessen, und Metzgerei Reidelbach repräsentierten die lokale Ebene; Koenitz Porzellan und Weimar Porzellan – die Schwesterfirmen der Fabrik - wurden auch als Sponsoren genannt. Die Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst, von Pascal Hess betreut, wurde auch teilweise gesponsort.

Einerseits zeigt die Suche nach Sponsoren den Sparkurs der Firma, auf der anderen Seite auch eine kreative, gewerbliche Energie, die neue Wege suchte, um die Firma in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen, durch neue Werbekanäle und neue Formen, z.B. um durch Kooperationen mit Institutionen wie Kunsthochschulen - „Think New About Tea“ - und Museen für die Firma zu werben.

Das Buch "Detailverliebt" von Eberhard Traum, Herrn Rosenthal gewidmet, kann man als weiteren Versuch sehen, den Namen Wächtersbach mit hochwertigen künstlerischen Details zu verbinden. Mitarbeiterin war Frau Meiser, welche zu dieser Zeit in der Fabrik auch für Werbung zuständig war.

Buchumschlag Detailverliebt
12. Buchumschlag "Detailverliebt"

Mit dieser Art von Events erreichte das Konzept "Feiern als Werbung" seinen bisherigen Höhepunkt. Es wird dabei aber auch ein neues Verhältnis zu der Arbeiterschaft und den Produkten sichtbar. Das erkennt man auch an den Produkten, die für diese Feiern angefertigt wurden. Es gab überwiegend nicht-keramische Geschenke wie Bücher, einen Wettbewerb, eine Ausstellung, aber auch die Jubiläums-Henkelbecher. (Die Becher, die ich bis jetzt gesehen habe, waren höchst unordentlich glasiert.) Anstatt auf Produkte der Keramik zu weisen, wurde eine Art Über-Story inszeniert, wobei der Werksverkauf ins lokale Zentrum rückte und die Werbung mehr mit künstlerischen Objekten und dem damit verbundenen Avant Garde Image gemacht wurde als mit der Geschichte vom positiven Arbeiter-Besitzer-Verhältnis , was noch 1957 und 1982 ganz besonders hervorgehoben wurde. (In wie weit es „wirklich so gewesen war“ soll ein weiter offenes Thema bleiben).

Sieht man von den lieblos gefertigten Henkelbechern und der Feier in Schlierbach ab, sprach die Werbung, da sie in einem Kunstmuseum stattfand, zum größten Teil ein gut bürgerliches Publikum an. Auf der einen Seite haben wir leider eine sichtbar schlechte Produktion in Schlierbach, auf der anderen Seite in Frankfurt eine Sprache mit Produkten, die mit hohem künstlerischem Anspruch Konsumenten anlocken sollten. Wie auch in der ökonomischen Krise, in der wir uns alle befinden, waren die Realitäten der Produktionsmöglichkeiten sowie der Produkte von der Werbung weit entfernt.


Vier Jubiläen im Wandel der Zeit

So könnte man den Kreis schließen: in 1907 und 2008 wurden die Arbeiter von den Festrednern kaum gewürdigt, während sie bei den anderen drei Feiern von den Rednern mehr in den Mittelpunkt gerückt wurden, und bei zweien dieser Feiern, nämlich 1932 und 1957, mit besonderen Geschenken gewürdigt worden waren. In den drei Feiern, in denen das gute Verhältnis zwischen Arbeitern und Arbeitsgeber hervorgehoben wurde, sprach Fürst Otto Friedrich, was darauf hinweisen könnte, was seinem persönlichen Managementstil besonders entsprach. Er handelte oft als fürsorglicher Patriarch und belebt so die Geschichten, die in Schlierbach noch heute kursieren. Geworben wurde mit Tradition und Verbundenheit zum Fürstenhaus, wie auch die Objekte, die für diese drei Feiern gemacht wurden, bezeugen.

Wie schon vorher beschrieben, waren die Feiern 2008 in Frankfurt und Schlierbach nicht nur geographisch sondern auch ideell weit voneinander entfernt. Auf dem Fabrikgelände wurde Keramik zum Vergnügen zerdeppert - in Frankfurt wurde sie als Kunst vorgeführt. Ist es möglich, dass die neue Vision und der Bruch mit den einheimischen Traditionen schon vor der 2. Insolvenz einen Tiefpunkt markierte, in dem man metaphorisch gesehen die Produktion zerdepperte? War das schon ein Menetekel dafür, dass ein paar Jahre später die ganze Schlierbacher Produktion eingestellt wurde? Große Ereignisse, auch im Mikrokosmos einer kleinen Fabrik, warfen ihre Schatten voraus, und in Festen und Festreden schleichen sich oft Momente ein, die ihre Wahrheit erst später offenbaren und sich anders verstehen lassen, als die Festgeber erwarteten.

Aber eine Festrede sollte nicht mit einer traurigen Geschichte enden. Es gab schon lange ein Gerücht, dass eine kleine Produktion in Schlierbach wieder aufgebaut werden soll. Da die Maschinen für eine solche noch im Fabrikgelände sind und nicht verkauft wurden, besteht die Hoffnung, dass hier wieder etwas wachsen wird. Und mit dieser Hoffnung bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch interessante Gespräche über die Keramik bei einem Glas Sekt und dass die Wächtersbacher Keramik nicht nur als Name weiterlebt, sondern in Ihrem alten Zuhause wieder ein neues Leben findet.


Ich bedanke mich für die freundliche Unterstützung durch:

Museums und Geschichtsverein Brachttal e.V.,

Ehepaar Keßler, die mir Einblick in das Archiv ihres Lindenhofmuseums gegeben haben,

Herrn Winfried Schmidt,

Herrn Daniel Neidhardt,

Herrn Marcus Schluessler,

Frau Sigrid Schindler.