Wolfgang Ernst Fürst zu Ysenburg und Büdingen, Unternehmer
Interview mit Fürst Wolfgang Ernst zu Ysenburg und Büdingen am 2. Februar 2012
Ihr Vorfahre, Fürst Adolf zu Ysenburg und Büdingen war einer der Gründer der Wächtersbacher Keramik im Jahr 1832. Können Sie sagen, aus welchen Gründen er das tat?
Ja, es gibt da mehrere. Die Waechtersbacher Keramik ist von einer Gruppe von Personen gegründet worden, mit der Idee den Ton im Büdinger Wald zu verwenden, um Keramikprodukte herzustellen. Soweit ich weiß, hat sich mein Vorfahre auch daran beteiligt und hat peu a peu die Mehrheit übernommen. Seine Hauptmotivation war, soweit ich dass aus Erzählungen kenne, den Bauern hier in der Region eine zusätzliche Erwerbsmöglichkeit zu geben, um sie an der Auswanderung nach Amerika zu hindern. Und es gibt ja auch Familien hier in der Gegend, in denen mehrere Generationen in der Fabrik gearbeitet haben.
War es eher so, dass die Fürsten „hands on“ waren, dass sie gerne selbst die Direktion der Fabrik übernahmen, oder was es eher so, dass sie sich auf die Direktoren der Fabrik verlassen haben?
Außer meinem jüngeren Bruder, der in den 60er und 70er Jahren für zehn bis 14 Jahre die Fabrik geleitet hat, war nie ein Mitglied der Familie im Management. Heute würde man bei AG sagen, es war eher eine Funktion des Aufsichtsrates.
Wissen Sie, warum das so war? War es wegen anderer Interessen?
Dass die Grundbesitzer der adligen Häuser aktiv gearbeitet haben, ist ja erst in neuerer Zeit Mode. Es war eine Investition wie viele andere, die die Familie gemacht und die sie finanziell begleitet hat. Aber das war‘s dann auch. Mein Vater hat sich mit meiner Mutter natürlich auch die Kollektionen angeguckt und hat versucht, seinen Geschmack mit einzubringen. Ich erinnere mich noch dran: Das, was uns gefallen hat, hat den Vertretern nicht gefallen. Also haben wir am Geschmack der Vertreter vorbei produziert. Wenn man da nicht täglich drin ist, dann hat das auch gar keinen Sinn.
Die älteren Arbeiter, die man so trifft, und wir haben ja auch Interviews mit ihnen gemacht, drücken sich immer sehr positiv über das fürstliche Haus aus. Können Sie das aus Ihrer Sicht erklären, wie dieses positive Ansehen in der Arbeiterschaft zustande gekommen ist?
Das Interesse, soweit ich das bei meinem Vater beurteilen kann, war immer sehr groß. Die Angestellten wurden, wie auch die Angestellten anderer Betriebe, quasi als Familienmitglieder betrachtet. Man hat sich natürlich um die Belange der einzelnen Leute gesorgt. Man darf ja auch nicht vergessen: Die sogenannten Sozialgesetze hat es ja vor 100 Jahren noch nicht gegeben. Und ein Fabrikbesitzer, wenn man das mal so ausdrücken will, hat sich natürlich um die sozialen Belange seiner Mitarbeiter gekümmert. Das war ganz normal, auf dem flachen Land hat ja jeder jeden gekannt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat es ja erst angefangen, dass eher unpersönliche Manager in solche Positionen kamen, so wie heute bei den großen AGs, in denen der Faktor Mensch in den Hintergrund gerückt wird.
Anfang dieses Jahrhunderts ist die Fabrik zum ersten Mal in die Insolvenz gegangen. Denken Sie, dass diese Insolvenz durch diese riesigen Prozesse wie die Globalisierung ausgelöst wurde, oder sehen Sie diese Insolvenz als Resultat von Management-Fehlern oder sehen Sie andere Faktoren, die auch wichtig sind wie die sozialen Veränderungen in der deutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg? Wenn Sie mal so darüber nachdenken, wo sehen Sie die wichtigsten Gründe?
Diese Frage ist sehr komplex. Eine solche Fabrik, die Konsumgüter produziert, ist natürlich immer den äußeren Einflüssen unterworfen. Die Blütezeit dieser Fabrik – obwohl ich nie eine Bilanz aus dieser Zeit gesehen habe – liegt ja vor dem Ersten Weltkrieg mit dem starken Einfluss von Darmstadt und dem Großherzog, der immer Jugendstilprodukte geliebt hat. Er hatte auch eine Kunstschule. Und dann entwickelte sich hier eine hohe handwerkliche Kunst. Es wurden wunderschöne Sachen produziert, die natürlich sehr arbeitsintensiv waren. Die Fabrik hatte damals, glaube ich, mehr als 1000 Mitarbeiter. Ich brauche ja nicht zu erzählen, dass die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sehr schwierig war. Und nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich doch das ganze Klima für solche Sachen sehr stark verändert. Da ist man vielleicht nicht so auf die Entwicklungen eingegangen und hat auch nicht so investiert – obwohl doch eigentlich viel getan worden ist. Man war eigentlich immer auf dem neuesten Stand. Aber die Zeit hat sich heute doch stark verändert. Es will heute doch kaum jemand ein Essservice oder Teeservice kaufen. Wir waren ja ziemlich modern, dass wir diesen Mug, diesen Krug da, erfunden haben, dank eines amerikanischen Vertreters. Wir waren ja mal der größte Henkelbecher-Produzent, den es weltweit gab. Aber nur für kurze Zeit, denn die Konkurrenz hat auch nicht geschlafen. Und heute sind wir einfach an einem Standort wie hier zu teuer. Die Löhne haben sich – erfreulich für die Arbeitnehmer – so entwickelt, dass ein solches Produkt mit so einem hohen handwerklichen Aufwand nicht mehr an einem Standort wie Deutschland machbar ist. Und mit der Konkurrenz aus Asien, sprich China und Thailand oder sonst wo, sind wir heute wegen der Löhne nicht mehr konkurrenzfähig.
Es gab ja einmal dieses „Heimatland“. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie das produziert wurde, es war sehr aufwändig. Das hat damals ab Fabrik, für zwölf Personen und Terrine und allem, 150 D-Mark gekostet. Das könnte man heute für 75 Euro auch verkaufen, nur können Sie es heute nicht unter 1500 bis 2000 Euro herstellen, weil einfach die Arbeitsvorgänge so teuer sind. Jedes Produkt hat auch seine Zeit, in der es produziert werden kann, gerade hier. Das geht nicht mehr. Das ganze Umfeld hat sich so verändert, dass man diese künstlerischen Sachen heute nur noch in kleinen Handwerksbetrieben machen kann und nicht in Großserie.
Teller Umdruckmotiv Heimatland
Mir wurde erzählt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg der Hauptprofit mit Amerika gemacht wurde und mit Massenproduktion gemacht wurde – wenn es überhaupt Massenproduktion genannt werden kann, wo es doch so viel mit Handarbeit zu tun hat.
Wir haben sicher Glück gehabt, in Amerika eine gute Vertretung zu haben. Es ist ein hoher Prozentsatz nach Amerika gegangen. Amerika ist ein sehr schwieriger Standort. Es ist auch sehr teuer, wir mussten sehr viel Reklame machen. Und das Produkt hatte nie eine sehr große Marge, sodass man sich das alles leisten konnte. In Kansas City haben wir da eine Vertriebsorganisation aufgebaut, die auch sehr gut lief, aber zum Schluss, durch den Einbruch, der in Amerika passierte, dann den Todesstoß bekommen hat.
Gibt es irgendetwas, an das Sie sich ganz besonders gern erinnern?
Wenn ich mir heute die Arbeitsabläufe in einem durchrationalisierten Büro oder Betrieb ansehe, wenn ich mich an die Zeit erinnere, die ich dort als Student praktiziert habe, dann waren das herrliche Zeiten. Das ist ungefähr so, als ob man heute einen Eskimo besucht und dem beim Kochen zuguckt. Es waren schon herrliche Zeiten, aber die sind vorbei.