Arbeitsbedingungen begünstigen den Erfolg von Produkten

Christiane Gunia, Designerin

Interview bei Familie Gunia in Brachttal-Schlierbach


In welchem Zeitraum haben Sie in der Wächtersbacher Keramik gearbeitet?

Von 1.4.76 bis 30. 9.2005, bis zur ersten Insolvenz.

Fast 30 Jahre. Was war Ihre Berufsbezeichnung?

Die Berufsbezeichnung ist Keramikdesigner. Ich habe an der Fachschule für Keramikgestaltung in Höhr studiert. Dort studierte man zu meiner Zeit drei Jahre lang fachspezifisch Keramikdesign.

Christiane Gunia, Design

Christiane Gunia, 2009

Was genau gehörte zu diesem Beruf?

Der gesamte Entstehungsprozess; Design von Form und Dekor, Entwicklung von Farben und Glasuren. Dann gehörte dazu, wie ein Messestand auszusehen hat, also Messeaufbau, und Dekoration. Vielfältig, eigentlich der komplette Werdegang von der Zeichnung bis zum Ende, bis die ersten Prototypen aus dem Ofen gekommen sind. Auch in den Verkauf während Messen war man mit einbezogen.

Man sammelt auf verschiedenen Messen Eindrücke, beispielsweise zur Heimtextil im Frühjahr, eine wichtige Stoffmesse. Man ist schon mal nach Paris oder Mailand gefahren. Wir haben nicht nur die Messen besucht, auch die Städte mit ihren Läden. Für Amerika, zum Beispiel New York, hatte man Listen von Läden. Die Läden wurden darauf hin untersucht, wie sie sich darstellen, was es Neues gibt, um neue Eindrücke mit nach Hause zu nehmen. Heute bezeichnet man diese Arbeit als "Trendscouting". Wie sehen neue Formen aus, wird es verspielter, traditioneller wird es ganz utopisch, mehr graphisch, farblich ganz schlicht, mehr Blumen, geht es ins Ornamentale hinein, gerader, klassischer? Diese Informationen holte man sich aus allen möglichen Quellen. Es hat immer Spaß gemacht.

Was gefiel Ihnen an Ihrer Arbeit?

Das Atelier war im dritten Stock und wir waren das beste Team der ganzen Firma. Wir haben uns immer sehr gut verstanden. Wir waren mit mehreren Leuten im Atelier tätig. Die Freude an der Arbeit hat immer die negativen Aspekte überwogen.

Wie lange hat das gehalten, dass ihr hier Handarbeiten gemacht habt?

Als ich angefangen habe, arbeiteten für uns noch zwei Handmaler im Atelier. Damals wurden sämtliche Erstmuster und Dekore von Hand gemalt. Wir haben 1990/91 den ersten Computer bekommen. Damit wurden die Reinzeichnungen für Schiebebilder digitalisiert. Früher wurden alle Dias in der Siebdruckabteilung noch mit der Hand gemalt. Danach gab es Belichtungsmaschinen, die aus fertigen Zeichnungen Dias separierten. Das hiess, dass die Computer zwei Leute, die zuvor die Farbseparationen von Hand malten einsparten. Das Handmalen von Diafilmen fiel weg, das war zu Beginn der 90-ziger Jahre. Computer zum Zeichnen, das war 1990/91 ziemliches Neuland. Wenn man sich überlegt, wie viel sich seitdem verändert hat.

Haben Sie im Team gearbeitet oder hatten Sie einen Einzelarbeitsplatz?

Das ist immer Teamarbeit gewesen. Funktioniert es unten in der Produktion? Klappt das mit der Brenntemperatur? Mit den Meistern hat man sich immer ausgetauscht. Mit dem Management, Geschäftsführer, mit dem technischen Leiter haben wir im Büro zusammen gesessen und die neuen Produkte besprochen. Es war nie die Entscheidung eines Einzelnen. Es ging nie darum, was einem persönlich als Designer besonders gut gefallen hat, sondern darum einen möglichst breiten Massengeschmack zu treffen. Im Gegensatz zu früher haben wir ja keine Kunstkeramik gemacht, wir haben Massenware hergestellt, weil möglichst viel verkauft werden sollte – mit einem für mich ästhetischen Anspruch.

Eine besondere Begebenheit aus ihrem Arbeitsalltag…



Was ich toll fand, das war als Charlotte, meine erste Tochter geboren war. Ich konnte sie mit in den Betrieb nehmen und - eine Zeit wo das höchst ungewöhnlich war – richtig, 1985. Überhaupt, damals, Prinz Sylvester war Geschäftsführer in der Keramikfabrik. Er hat mal zu mir gesagt: „Es ist mir egal, wo Sie Ihre Entwürfe, Ihre Ideen herkriegen. Ob Sie das nachts machen, ob Sie das hier in der Firma machen, ob Sie das auf der Toilette machen, das ist mir wurstegal. Hauptsache, Sie machen was.“ Er war sehr loyal und großzügig. Charlotte konnte ich mit in den Betrieb nehmen. Hatten wir mal eine Besprechung, die nicht im Atelier stattfand, hat einer meiner Handmaler auf mein Kind aufgepasst. Während einer Besprechung bekamen wir einmal einen Anruf. Prinz Sylvester ging ans Telefon und sagte mir: „Ich glaub, Sie müssen mal rüber gehen, da schreit ein Kind.“ Und dann wurde halt die Hose frisch gemacht. Das war überhaupt kein Thema. Ich konnte gerade hinüber ins Atelier gehen, war nach einer Viertelstunde wieder da und alles war in Ordnung.

Denken Sie, dass das mit dem Fürsten zusammen hing, dass er diese Art Persönlichkeit war, sein Managementstil, eine sehr progressive Einstellung, dass eine Frau ihr Kind mitbringt in die Fabrik.

Ich denke schon. Diese Möglichkeit besteht normalerweise nicht, wenn es nicht „von oben“ erlaubt oder toleriert wird. Er hätte auch sagen können, das will ich nicht oder kümmere dich darum, dass du jemanden hast, der sich um dein Kind kümmert. Dann wäre es nicht möglich gewesen. Das war schon ein sehr offener Umgang mit dieser Problematik und dem Arbeitsverhältnis, unter dem alten Fürsten und auch unter Prinz Sylvester. Bei einem "normalen" Arbeitnehmer wäre das nicht möglich gewesen, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber bei uns im Atelier ging das. Ich habe ja nicht an laufenden Maschinen gestanden.


Dekor Isola Bella

Layoutdetail Dekor Isola Bella


Wenn man an die Geschichte zurückdenkt, Schweitzer, Neureuther - haben Sie sich diese Künstler als Vorbilder genommen gab es Teile der Arbeiten, die sich dann in Ihren Arbeiten wieder finden oder waren Sie mehr in der Modernen, in Ihrer Zeit gebunden als Sie Ihre Entwürfe entwickelten?

Ich fand das damals faszinierend als ich bei der Wächtersbacher Keramik angefangen habe. Mir war nicht von Anfang an bewusst, dass hier ein Neureuther gearbeitet hat oder dass mit der Künstlerkolonie Darmstadt zusammengearbeitet worden ist. Das habe ich dann mitbekommen als ich die alten Sachen gesehen habe, die drüben über dem Henkelbecher im Dachlager standen. Und da war ich total fasziniert. Die Jugendstilzeit fand ich schon immer toll. Dann habe ich auf der alten Keramik diese fantastischen Jugendstilmuster gesehen. Diese handwerkliche Arbeit, dieses Spiel mit Farbe, mit Glasur, mit Mustern. Das fand ich immer so faszinierend. Gerade das, was Neureuther und auch Schweitzer gemacht haben. Mit dieser Experimentierfreude konnte man hier weitermachen, man konnte in allen möglichen Techniken arbeiten, man konnte selbst mit Pinsel malen, mit Ton und Glasur matschen. Wir hatten im Atelier sogar eine Spritzkabine. Dass man sich austoben konnte, das fand ich toll. Von daher hat es mich schon beeinflusst.

Konnten Sie Ihre Entwürfe umsetzen oder gab es Widerstände? Wenn das der Fall war, welche Widerstände gab es?

Man hatte seine Entwurfsfavoriten. Es war auch verhältnismäßig einfach, das dann auch durchzusetzen. Manchmal musste man schon überzeugend argumentieren.


Bei 4070, dem Christmasdekor, dem Tannenbaum, der dann in Amerika so gut verkauft worden ist - da wurde 2 Jahre lang versucht, das Dekor hier zu verkaufen. Das war so erfolgreich in Amerika, das müssten wir doch hier auch verkaufen können. Wir haben festgestellt, dass es nicht ging. Darauf habe ich gesagt: „Dann machen wir ein Dekor, das für den deutschen Markt verkäuflich ist“. Dadurch entstand Wintermärchen - eine Winterlandschaft, ein bisschen Gold. Davon war im Anfang niemand so richtig überzeugt. Aber dann habe ich mich durchgesetzt und wir haben es dann auch gemacht.

Das Wintermärchen war der Verkaufsschlager.

Es war ein so genannter Saisonartikel, Verkauf nur über 2 Monate, November und Dezember. Und dann stand es zu Hause bis zum Januar noch auf dem Tisch und wurde im Oktober schon wieder rausgeholt, wenn es kalt wurde, als Winternachmittagsgeschirr. Es war nicht mehr das klassische Weihnachtsgeschirr, das nur am Weihnachtsfeiertag benutzt wurde. Es war das Wintergeschirr für Nachmittage, fürs Adventgebäck, für den Christstollen, zum Kaffee.


Wintermärchen Katalogfoto

Serie Wintermärchen


Das war ein großer Erfolg. Welcher von Ihren Entwürfen war am erfolgreichsten wenn man es an den Verkaufszahlen misst.

Ich glaube, das war der Weihnachtsbaum auf Rot für Amerika. Das waren noch mal ganz andere Zahlen. Oder Isola Bella, lief auch erfolgreich über 10 Jahre. Zeitweise wurde davon in einem Jahr für 2 bis 3 Millionen DM verkauft. Ich fand das irre, wenn ich im nachhinein die Verkaufszahlen ansah. Ich wäre lange weg vom Fenster gewesen, wenn meine Entwürfe nicht so erfolgreich gewesen wären.

Weihnachtsbaum

Dekor 4070 Christmas Tree on Red

Gibt es denn noch Keramikhersteller hier bei uns?

Immer weniger - Waechtersbacher Keramik war jetzt die letzte Steingutfabrik hier in Deutschland.