Wie aus der WAECHTERSBACHER KERAMIK die GLL wurde

Gisela Hennies, Büroangestellte, Betriebsratsvorsitzende

Interview mit Frau Hennies m 1. 12. 2011

In welchem Zeitraum haben Sie für die Fabrik gearbeitet?

Von 1989 an bis heute. Über 20 Jahre, das ist eine lange Zeit.

Was war Ihre Berufsbezeichnung?

Ich war Sachbearbeiterin im Vertrieb, Inland – Deutschland, das habe ich die letzten 10 – 15 Jahre gemacht. Ich habe vorher den Datenservice gemacht.

Sie waren auch Betriebsratsvorsitzende?

Ich habe das 1 ½ Jahre gemacht. Ich war vorher im Betriebsrat, aber kein Vorsitz.

Was genau war Ihre Arbeit? Wie war Ihr Arbeitstag?

Ich habe Kundengespräche entgegengenommen, Auftragsannahme, Reklamationen, habe die Wünsche der Kunden bedient, habe Rechnungen geschrieben, Dokumente weiter versendet, habe mich um die ganze Reklamationsarbeit gekümmert für ganz Deutschland. Wir waren am Anfang 5 Sachbearbeiter, das ist dann reduziert worden, zum Schluss war ich nur noch alleine da. Das war natürlich viel Arbeit. Es ist natürlich auch der Umsatz im Laufe der Zeit reduziert worden, weil die Konkurrenz ziemlich groß war, teilweise, weil Keramik eine Zeit lang nicht mehr so gefragt war. Sie wissen wie das ist, wo man das billiger herkriegt, viele haben keinen Wert auf Qualität gelegt, englische, italienische Ware, durch die unsere Keramik ersetzt worden ist.

Wenn es Reklamationen gab, hat die Fabrik das wieder in Ordnung gebracht?

Ja. In Reklamationen waren wir eigentlich sehr, sehr kulant.

Also hatten Sie auch sehr viel Kontakt nicht nur mit den Leuten die bestellt haben, sondern auch die Endverbraucher.

Auch Mails habe ich beantwortet von Endverbrauchern. Und je länger jemand in einer Firma ist, kann er auch von alter Keramik sagen, was vor 20 Jahren, vor 25 Jahren war, Dekore, die andere gar nicht mehr kennen, vielleicht mal gesehen haben, aber ich habe die Herstellung noch mitgekriegt. Es ist schön, wenn man den Leuten dann helfen kann.

Wie viele Stunden haben Sie täglich, bzw. wöchentlich gearbeitet?

Am Anfang, als ich in die Keramik gekommen bin, war es nur 4 Stunden, weil ich damals alleinerziehende Mutter war, ich habe dann die Arbeitszeit von 4 auf 6 Stunden täglich erhöht und zum Schluss habe ich die 38 Stunden Woche, Vollzeit, gearbeitet. Vor 5 Jahren, nach der ersten Insolvenz, ist die Arbeitszeit von 38 auf 40 Stunden angehoben worden. Also habe ich in den letzten 5 Jahren 40 Stunden in der Woche gearbeitet.

Wie war die Pausenregelung?

Wir waren 9 Stunden im Betrieb und 8 Stunden haben wir bezahlt bekommen. Eine Stunde war Mittagspause. Im Werk selbst haben sie 20 Minuten Frühstückspause und 40 Minuten Mittagspause gehabt, bei uns im Büro konnten wir keine Frühstückspause machen, weil ständig das Telefon geklingelt hat. Wir haben dafür versetzt eine Stunde Mittagspause gemacht.

Was gefiel Ihnen an Ihrer Arbeit?

Der Kontakt mit den Kunden. Das gibt mir das Gefühl, ich habe meine Arbeit gut gemacht.

Wie war das am Ende. So wie ich es verstanden habe, hat die Wächtersbacher keine eigenen Aufträge mehr erfüllen dürfen. Wie war das mit den Kunden, die durch Wächtersbach jahrelang ihre Waren bekommen haben.

Wir sind 2009 umstrukturiert worden. Da hat unser Chef, der uns 2006 gekauft hat, Herr Rosenthal verschiedene Firmen gegründet. Es sind verschiedene Verträge abgeschlossen worden, wonach wir nicht mehr Wächtersbacher Keramik heißen durften, sondern wir waren die KFB die Keramische Fertigungsstätte Brachttal, wir hatten als einzigen Kunden die Firma GLL, die Gesellschaft für Lager und Logistik, die auch eine outgesourcte Firma war, die hat uns die Aufträge erteilt.

GLL war ein Teil der Könitzgruppe?

Wie war das in den letzten paar Jahren, seit Insolvenz 2 angekündigt worden ist, ging es auch ganz schnell in die Tiefe mit den Gehältern –

Mit der Insolvenz 1 fing das schon an. Die Insolvenz 1 war 2006, da sind wir aufgekauft worden vom Herrn Rosenthal und er hat von uns verlangt, dass er uns nur kauft unter gewissen Bedingungen. Die Bedingungen waren, dass wir auf 20 % Gehalt verzichten, von der 38 auf die 40 Stunden Woche ohne Lohnausgleich, 5 Tage gekürzten Urlaub, kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld, Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten.

Die Leute haben in den 5 Jahren von der ersten bis zur zweiten Insolvenz keine Tariferhöhungen bekommen, keine Zusatzleistungen, gar nichts. Wir waren zum Schluss, wenn Sie alles zusammenrechnen ca. 30 bis 40% unter dem normalen Niveau im Tarifbereich. Das spiegelt sich natürlich jetzt auf der Rente, Arbeitslosengeld, Krankengeld, bei allem, was Sie jetzt machen, wider. Das ist schlimm. Ob sich manche vorstellen können, was das für manche bedeutet. Und das alles, weil wir verzichtet haben, eigentlich mit dem Hintergedanken, wir machen es gemeinsam. Unser Geld ist weg, sein Geld ist nicht.

Wurden die 40 Arbeiter entlassen, gleich am Anfang der Insolvenz?

Ja, er hat gesagt, er übernimmt nur 80.

Und wie wurde die Entlassung entschieden?

Wir waren 3 Sachbearbeiter, dann sind 2 weggefallen, sie haben gesagt, die haben die Arbeit zu dritt gemacht, das kann jetzt auch eine alleine machen. Ich bin nicht nur ums Gehalt reduziert worden, ich bin auch um meine Kollegen reduziert worden. Ich habe mit weniger Gehalt dreifache Arbeit gemacht.

Und dann macht man die Arbeit für 2 Leute noch dazu für weniger Geld.

Und am Anfang bin ich öfter bis halb 8 dageblieben, damit ich den Faden nicht verliere. Nicht, weil mein Chef gesagt hat, du musst dableiben. Sondern ich habe für mich die Entscheidung getroffen, ich bleibe so lange da bis ich weiß, ich habe den Überblick. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, ob man entlassen wird oder ob man dableibt. Wer hat die schlimmere Position? Der, der dableibt, hat so viel Arbeit, dass er nicht zum Nachdenken kommt. Und der andere sitzt daheim und hat gar keine Arbeit, der kommt zum Nachdenken. Die Kollegin, die damals entlassen worden ist, hat jetzt ein Café in Gelnhausen. Sie verdient gutes Geld. Sie ist jetzt selbständig. Das wäre sie nie gewesen. Wenn sie hier weiter gearbeitet hätte. Man muss die Dinge auch positiv sehen.

Aber 2009, haben Sie gesagt, hat sich die ganze Sache verändert durch die Umstrukturierung. Da hatten Sie nur noch einen Kunden zu betreuen. War das eine Erleichterung?

Durch die Umstrukturierung gab es so viel andere Arbeit für mich, auch wenn ich jetzt nur noch auf den einen Kunden reduziert war. Dieser eine Kunde hat fast so viel Arbeit gemacht, wie die 950 Kunden. Die Preisgestaltung war so extrem, weil sie mit Prozenten gearbeitet haben, was wir früher nie hatten. Dann haben sie feste Liefertermine gehabt. Manchmal ist es so, wenn ein Ofen kaputt geht, ist der ganze Brand weg, das muss neu gemacht werden, da muss neu disponiert werden. Dann können wir den Liefertermin nicht einhalten. Da haben sie uns Strafe auferlegt für jeden einzelnen Tag, den wir zu spät geliefert haben. Und das musste nachkontrolliert werden und das habe ich alles gemacht. Die Strafe für den 1. Tag waren soundso viel Prozent, für den 2. Tag soundso viel Prozent.

Prozent von was?

Von dem gesamten Warenwert, die haben sich mehr Arbeit gemacht, als die ganze Sache wert war. Zum Schluss haben wir an Lieferverzugsstrafen immense Summen bezahlt. In einem Konzern, in dem alle zusammen gehören, empfindet man das als Ausbeutung, weil sie das Risiko nicht zu tragen haben.