Neue Häuser mit Hühnerstall und Bleichwiese

Sozialer Wohnungsbau unter Otto Friedrich Fürst zu Ysenburg Büdingen

von Sigrid Heil


In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ließ der Fürst auf einem großen Grundstück im Unterdorf von Neuenschmidten, an der Birsteiner Straße, zwei Mehrfamilienhäuser bauen. 1924 waren sie bezugsfertig und wurden fortan bewohnt von einfachen Arbeitern der Fabrik mit ihren Familien.


Die "Neuen Häuser" Anfang 40er Jahre


Nach heutigen Maßstäben wären die „Neuen Häuser“, so wurden sie genannt, als primitiv zu bezeichnen. Für den damaligen Lebensstandard waren sie modern und zweckmäßig. Alle acht Wohnungen waren gleich groß und verfügten über eine Wohnküche mit separater Spülküche und Speisekammer. Zwei gleich große Zimmer schlossen sich an und, man höre und staune, jede Wohnung hatte ein Trockenklosett.

Außerdem gab es noch für jede Familie unter dem Dach eine Mansarde, einen Kellerraum, ein Stück Dach- und Heuboden und einen kleinen Stall. Eine Waschküche war auch vorhanden und wurde von allen Familien gemeinsam benutzt. Wie in den Wohnungen gab es auch hier fließendes Wasser. Ein großer Waschkessel, den man mit Holz beheizen konnte, stand der Hausfrau auch zur Verfügung.

Wenn im Herbst Schlachtzeit war, wurde der Waschkessel kurzerhand zum Wurstkessel umfunktioniert. Da die Familien zur damaligen Zeit noch Selbstversorger waren, hatte der Fürst dafür gesorgt, dass es 8 gleich große Gartenstücke gab, auf denen all das angebaut und geerntet werden konnte, was benötigt wurde. Es gab ausreichend Platz für den Anbau von Kartoffeln und Gemüse und für einen Hühner-oder Hasenstall. An die Gärten schloss sich dann noch ein Wiesengrundstück an, der sogenannte Bleichplatz, den die Bewohner zum Bleichen der Wäsche nutzten.

Ich habe in diesen „Neuen Häusern“ meine Kindheit verbracht und wenn ich heute an „Daheim“ denke, dann denk ich an die kleine Wohnung in der Birsteiner Straße 42. Sicher geht oder ging es ehemaligen Bewohnern auch so, denn der Fürst hatte ihnen hier ein Zuhause geschaffen, das sie sich sonst nie hätten leisten können. Der Mietpreis für eine Wohnung war gering und allein schon deshalb könnte man diese beiden Häuser als den ersten sozialen Wohnungsbau in Neuenschmidten bezeichnen.

Als das Wirtschaftswunder auch Neuenschmidten erreichte, fingen viele der Bewohner, an sich eigene Häuser zu bauen und zogen aus. Ihnen folgten als Nachmieter dann die ersten Gastarbeiter und schließlich der erste Leerstand. Die Wohnungen entsprachen nicht mehr dem Komfortbedürfnis und fanden keine Mieter mehr. Viele Jahre standen sie leer und es wurde immer gefährlicher, aus nostalgischen Gründen, die Häuser zu betreten.


Die "Neuen Häuser" 1989 kurz vor dem Abriss


Ende der achtziger Jahre wurden die Häuser abgerissen.


Sigrid Heil